In diesem Artikel: Kawasaki ZX-10R
Ein blitzschneller Blick auf den Tacho: 289 km/h! Im Augenwinkel flackern die ersten rot-wei?-getunchten Curbs. Raus aus der Verkleidung, Bremse ziehen und gleichzeitig vom sechsten zuruck in den zweiten Gang schalten! Die Knie pressen sich an den Tank, die Arme stemmen sich gegen den Lenker, der Helm tanzt im Wind. Dann geht es scharf rechts ums Eck und damit hinein in eine neue Runde, in der die aufgerustete Kawasaki ZX-10R zeigen kann, ob sie das Zeug hat, der BMW S 1000 RR den Hintern zu versohlen. Gegenwartig die Frage aller Superbike-Fragen.
Um diese fur sich zu entscheiden, haben die Kawasaki-Entwickler keinen Stein auf dem anderen gelassen. Was wie der Vorganger hei?t, ist anno 2011 ein vollig neues Motorrad. Motor, Rahmen, Schwinge, Fahrwerk, Elektronik - alles neu! Und das spurt man mit jedem Meter, den einen die Ninja uber die Losail-Rennstrecke in der Wuste von Katar katapultiert. Hier rollt eine eindeutige Kriegserklarung an die Munchener.
Aber wer eine brutale Kampfmaschine erwartet hat, die es der gnadenlos auf Spitzenleistung getrimmten Bayerin mit gleicher Munze zuruckzahlt, hat sich geschnitten. Zwar stehen die 200 PS Schwarz auf Wei? in den Kawasaki-Papieren - und diese Power lasst die ZX-10R ihren Fahrer auch spuren, aber der seidenweich laufende Vierzylinder macht seine Sache deutlich anders.
Vorbei sind damit die Kawa-Zeiten, in denen die Ninja bis 10 000/min uberhaupt nicht aus dem Quark kam. Sie rei?t zwar im mittleren Drehzahlbereich nach wie vor keine Baume aus, aber fur optimale Beschleunigung aus den Kurven muss die Drehzahl nicht mehr auf Biegen und Brechen im funfstelligen Bereich gehalten werden. Bemerkenswert linear geht der Motor jetzt zu Werke. Ab etwa 6000/min nach dem Scheitelpunkt passt die Sache. Das macht das Fahren der ZX-10R wesentlich stressfreier und durfte so am Ende bessere Rundenzeiten bringen. Lediglich die Gasannahme ist nicht ganz so sanft, wie man sich das wunschen wurde, aber damit auch schon einziger Kritikpunkt am Triebwerk.
Das Fahrwerk mit der Big-Piston-Gabel, bekannt aus der ZX-6R, und dem neu positionierten Federbein unterstreichen die gesteigerte Fahrbarkeit der Kawa. Fehlte zunachst noch das notige Gefuhl furs Vorderrad und ging die Ninja etwas weit, stellte sich nach ein paar kleinen Klicks vorn und hinten die gewunschte Transparenz und Folgsamkeit ein.
Danach uberzeugte die 10er mit prima Handling, einer spitzenma?igen Kurvenstabilitat und Zielgenauigkeit, die selbst der knifflige Kurs von Doha nicht truben konnte. Im Gegenteil, bei Korrekturen mit der Bremse zuckte die Ninja kein bisschen und verhielt sich auch in maximaler Schraglage sehr neutral. Auch das Umlegen auf die andere Seite fordert keine gro?eren Muhen vom Piloten. Hochstens die etwas erhohte Kraft, die notig wird, wenn der Pilot doch eine andere Linie wunscht, fallt auf.
Ach ja, und noch eins. Der Druckpunkt der Bremse wandert nach einigen Runden etwas, und die Stopper lassen den letzten Biss vermissen. Alles gewollt, gaben die Kawa-Techniker zur Antwort. Brutales Zupacken opferten sie nur allzu gern fur eine optimale Dosierbarkeit. Was tatsachlich auch funktioniert.
Uberhaupt war die Kawasaki auf der Bremse, besonders wie eingangs beschrieben Ende Start-Ziel, eine echte Freude. Mit der klasse arbeitenden Anti-Hopping-Kupplung und dem sauber ausbalancierten Chassis glanzte die Ninja hier mit tadelloser Stabilitat.
Diesen Eindruck vermittelte auch die ABS-Version, die in Doha leider nur fur vier Runden zur Verfugung stand. Obwohl Kawa betonte, dass es sich beim ABS um ein sportliches, aber keinesfalls um ein Race-ABS handele, begeisterte das System mit sportlich spatem Regelbereich, sehr berechenbarer Verzogerung und minimalen Regelreaktionen.
Das technische Highlight der ZX-10R ist aber trotz des guten ABS unbestritten die Traktionskontrolle. Sie basiert auf feinsten Berechnungen und unterscheidet sich in der Funktionsweise deutlich von dem der BMW oder der Aprili. Viel Hirnschmalz haben die Entwickler in dieses System investiert, das aus dem MotoGP-Projekt stammt und von dessen Technikern verfeinert wurde.
Und dieser gnadenlose Sportsgeist ist dieser Fahrhilfe sehr deutlich anzumerken. Wahrend namlich Stufe drei und zwei relativ fruh eingreifen und vor allem den Alltag sicherer machen sollen, verspruht Stufe eins Rennsport vom Feinsten und hat nur die perfekte Rundenzeit im Sinn. Rutscher sind dabei jederzeit drin. Der Schlupf wird erst unterbunden, wenn der optimale Vortrieb nicht mehr gewahrleistet ist.
Da kann es anfangs leicht passieren, dass die Gashand die Drosselklappen instinktiv schon schlie?t, wahrend die Traktionskontrolle gerade erst sanft eingreift. Hat man sich aber daran gewohnt, ertappt sich auch der Hobbyfahrer dabei, immer wieder mit durchdrehendem Hinterrad aus den Kurven zu feuern. Lediglich am leichten Leistungsverlust durch Zundunterbrecher ist die TC in ihrer Arbeit uberhaupt zu spuren. Eher lasst sich noch am Signal im Cockpit, das im wahlbaren Rennstrecken-Modus au?erdem Rundenzeit, Geschwindigkeit und Gangwahl anzeigt, ablesen, dass die Traktionskontrolle arbeitet.
Damit kann die Schlacht also beginnen, konnen wir im anstehenden Test ausfechten, wer das beste Superbike auf die Piste bringt. Dabei durfen wir uns auf hochst unterschiedliche Taktiken freuen. Wahrend die BMW mit brachialer Kraft im oberen Drehzahlbereich und komplexer Elektronik bisher alles unterwarf, schlagt die ZX-10R nun zuruck. Sie versucht es ebenfalls mit begeisternden Helferlein, aber einer ganz anderen Philosophie, die stark an reinrassige Rennmotorrader jungster Generation erinnert. Je schlagkraftiger die sind, desto unspektakularer, ja geradezu easy lassen die sich fahren. Fur knapp 15 500 Euro (mit ABS 1000 Euro Aufpreis) hat Kawasaki jedenfalls wieder einen Siegertyp im Stall.