In diesem Artikel: KTM 990 Supermoto R, Aprilia Dorsoduro 1200, Ducati Hypermotard 1100
Vergleichstest: Zweizylinder-Supermotos
Wie eine abgewickelte, uber ein Modelleisenbahngebirge geworfene Lakritzschnecke schmiegt sich das tiefschwarze Asphaltband den zerklufteten Hang entlang. Kurve folgt auf Kurve, mal eng an den Fels gedruckt, mal in weitem Bogen einem Zwischenplateau folgend.
Col de l'Espigoulier - auf Knien wollen wir denen danken, die diesen nur knapp uber 700 Meter hohen Pass nordostlich von Marseille dem motorisierten Menschen zuganglich gemacht haben. Und, wenn schon devot huldigend, dann verneigen wir uns auch gleich noch vor diesen Maschinen: Zweizylinder-Supermotos.
Sitzposition so unverkrampft wie auf einem Allrounder, Handling so beschwingt wie eine Enduro, und Power, noch starker als ein aktueller 600er-Supersportler - mit dieser appetitlichen Kombination locken die Spa?mobile.
Argumente der Vernunft? Pah, das ist das letzte, worauf die V2-Drifter horen wollen. Schon gar nicht jetzt. Wo auf der Passhohe die Auspuffkrummer noch aufgeregt knistern, die Reifen vom griffigen Asphalt bis tief in die Flanken angenagt sind und die heftigen Bremsmanover die Bremsscheiben in den Regenbogenfarben schimmern lassen. Das ist Supermoto!
Die KTM 990 SM R kennt das. An ihr muss sich - nachdem die Basis-SM fur die kommende Saison aus dem Programm genommen wurde - die Supermoto-Welt messen. Schlie?lich polieren die Osterreicher seit 2005, dem Geburtsjahr der Superduke und Supermoto 950, am Zweizylinder-Funbikekonzept. Ducati halt mit der Hypermotard dagegen, hob nun mit der Evo SP durch eine langere Gabel und mehr Federweg die Front der Bologneserin um immerhin 65 Millimeter an, speckte die Diva mit leichterem Motorgehause um funf Kilogramm ab und lie? sie mit einem uberarbeiteten Zylinderkopf um gemessene acht PS erstarken.
Harte Konkurrenz fur die Neue im Bunde der Supermoto-Big Bikes, die Aprilia Dorsoduro 1200. Denn von den Erfahrungen mit der seit drei Jahren existenten 750er-Dorsoduro konnen die Italiener nur indirekt zehren. Trotz identischen Konzepts ist die 1200er namlich ein von Grund auf neu gezeichnetes Motorrad - das im Vergleich zu ihrer kleineren Schwester nur um einen Hauch gro?er ausfiel. Radstand (1528 statt 1505 Millimeter), Nachlauf (118 statt 108 Millimeter), Lenkwinkel (65,1 statt 66,1 Grad) und Gewicht (227 statt 211 Kilogramm) - die Dimensionen gerieten nur einen Tick gestreckter, langer, flacher und eine ma?ige Portion schwerer als die der 750er.Das erstaunt, schlie?lich zerrt der 1197-cm?-Vau-Zwei, der ubrigens nicht breiter baut als der 750er-Motor, mit gemessenen 130 PS (Dorsoduro 750: 88 PS) an Alu-Schwinge und Verbundrahmen.
Wie war das nochmal? Zahlen, Vergleiche, Konzepte, alles recht und gut - doch nichts fur Supermoto-Fans. Zumindest nicht jetzt. Die Beine uber die Bikes geschwungen. Alle Mann recht beweglich? Sollte man bei den Sitzhohen dieser Offroad-Ableger sein. Auf 870 Millimeter liegt die niedrigste Latte (KTM), klettert uber 890 (Aprilia) auf bis zu 900 Millimeter (Ducati). Nun ja, wir sind ja noch jung.
Wuchtig hallt der Sound von den Felswanden wider. Die KTM gibt den Tenor, jubiliert mit ihrem 75-Grad-Vauling als gelte es, sofort ein Rennen zu gewinnen. So direkt wie der LC8-Treibsatz am Gas hangt, so blitzschnell er die Drehzahlleiter hochschnarrt, das hat was. Nicht nur weil das KTM-Aggregat gut im Futter steht und statt der 116 angegebenen PS stattliche 127 PS an den Start bringt. Sondern weil der Dohc-Motor bei aller Hast auch Etikette besitzt und sich genauso gefuhlvoll dosie-ren wie muhelos schalten und kuppeln lasst. Eine beschwingte Leichtigkeit, die das KTM-Triebwerk seiner bewussten Beschrankung auf den mit 1000 cm3 kleinsten Hubraum des Trios zu verdanken hat.
Gut genahrt zeigt sich auch das Gestut der Ducati, zerren 96 statt der deklarierten 91 Pferde an der Kette, die sofort beweisen, weshalb der Zweiventiler nach wie vor zu den beliebtesten Landstra?en-Motoren gehort. Ein wenig schuttelt er sich noch unter 3000 Touren, um danach butterweich und dennoch mit Macht voranzudrucken. Dass diesem luftgekuhlten optischen Schmuckstuck 30 PS zur KTM fehlen, spielt bei so viel Stil eine geringe Rolle, ja fallt erst bei betont aggressiver Gangart uberhaupt auf. In allen anderen Situationen uberwiegt der Genuss der kultivierten Beschleunigung die eine oder andere verlorene Zehntelsekunde bei weitem.
Die Welten der Ducati und der KTM vereinigt der Aprilia-Motor in sich, das kompakt bauende Dohc-Aggregat nutzt seinen Hubraumvorteil deutlich fuhlbar aus. Sofern man die Wahl des Motormanagements im Touring-Modus belasst. Im Sport-Modus geht der Motor bei identischer Leistung unnotig hart ans Gas, im Regen-Mapping wird die Leistung auf trage servierte 104 PS beschnitten. Mit dem Dampfhammer des uberlegenen Drehmoments schiebt der stattliche 130 PS starke 90-Grad-V-Motor von der ersten Umdrehung an gewaltig voran, lasst seine Kraft immer und uberall spuren.
Hochschalten, den Motor ziehen lassen, das suggeriert dieser Antrieb permanent - auch wenn er anders konnte. Denn wahrend die KTM gern gezwirbelt und die Ducati im mittleren Drehzahlbereich gehalten werden mochte, uberlasst der beim Aprilia-Mutterkonzern Piaggio gefertigte Treibsatz die Wahl allein dem Piloten.
Ob niedertouriges Dahingleiten oder Highspeed-Hatz, der Kurzhuber ist stets bereit, poltert nicht im Drehzahlkeller, vibriert nur geringfugig, dreht frohlich aus. Ein tolles Erlebnis, das auch durch die etwas schwergangige Kupplung und die knocherne Schaltung kaum getrubt wird.
Die Passabfahrt verschwindet im Ruckspiegel. Kein Beinbruch, auch die verwinkelten Stra?en des Hinterlands halten Motorradfahrer bei Laune. Und KTM-Dompteure erst recht. Denn in Sachen Fahrwerk gibt sich die SM R nicht die geringste Blo?e. Ob Anbremsen, Abwinkeln, Einlenken, Linie halten oder Aufrichten, die KTM vermittelt das Vergnugen zweiradriger Fortbewegung in Reinstform. Besser geht das kaum.
Wobei sich die Duc in der Evo SP-Ausgabe in dieser Beziehung ebenfalls gewaltig gemausert hat - sofern die im Serienzustand 24 Millimeter hoch uber die obere Gabelbrucke ragenden Gabelholme bundig bis zur Abschlusskappe eingeschoben werden. Dann - und nur dann! - ist die ehemalige Kippeligkeit der Hypermotard wie weggezaubert, legt der schicke Flitzer seine jahrelang verborgenen Fahrwerksqualitaten frei. Endlich profitiert die Italienerin in jeder einzelnen Kurve von ihrem Fliegengewicht von 191 Kilogramm (KTM: 203 Kilo, Aprilia: 227 Kilo), von ihrer Wespentaille, der komfortablen Federung und dem frischen Handling. Die Begeisterung uber diese Metamorphose kann nicht einmal die ubertrieben bissige Vorderradbremse oder die einen Tick zu weiche Gabel truben.
Die Aprilia distanziert sich dagegen von dem wilden Duo, setzt Signale der Vernunft. Ob ABS, Traktionskontrolle, Bordcomputer oder die betont neutrale, deutlich weniger vorderradorientierte Fahrwerksauslegung - die Dorsoduro bricht charakterlich mit ihrer Supermoto-Optik. Oder erweitert eben das bisher in diesem Segment ubliche Spektrum. Gibt damit quasi das Schaf im Wolfspelz. Denn wahrend die Ducati und KTM formlich uber jede Biegung herfallen, schwingt die Venetierin wie ein braver Allrounder gutmutig von Kurve zu Kurve. Stemmt sich in engen Kehren - wohl durch den auf der Sechs-Zoll-Felge (Ducati und KTM: 5,5 Zoll) flach konturierten 180er-Pirelli Diablo Corsa III - sogar leicht gegen das Abwinkeln. Fur Supermotos typischer fallt die Fahrwerksabstimmung aus. Die straff gefederten Sachs-Federelemente bieten auf den holprigen gallischen Departments-Stra?chen zwar jede Menge Reserven, liefern trotz breitem Einstellbereich der Dampfung allerdings nicht den Komfort der Ducati und der KTM.
Dafur lasst es sich aus den oft ubel zugerichteten Kehren etwas frecher am Kabel ziehen, denn im Uberschwang der Gefuhle greift die erstmals in einem Supermoto-Bike applizierte Traktionskontrolle ein. Das relativ simple System, welches uber den Abgleich der Raddrehzahlen arbeitet, greift in der konservativsten der drei Stufen fruh und sanft ein. Stufe zwei durfte den besten Kompromiss zwischen sportlichem Anspruch und Sicherheitsbedurfnis darstellen. Level Eins sollte der Rennstrecke oder Kartpiste vorbehalten bleiben. Doch wohlgemerkt: Den gesunden Menschenverstand kann keine Traktionskontrolle ersetzen.
Genauso wenig wie das ABS der Dorso-duro. Der aggressiv abgestimmte Blockierverhinderer, der in Kombination mit der Traktionskontrolle 1000 Euro Zuschlag kostet, lasst namlich Stoppies, im Extremfall sogar einen Uberschlag zu. Ein Problem, mit dem bereits die Shiver und die 750er-Dorsoduro kampfen. Diesseits des Notfalls - also in 99,9 Prozent aller Bremsungen - uberzeugt die Brembo-Anlage allerdings mit sattem Druckpunkt, geringer Handkraft und toller Dosierbarkeit. Schon wieder diese Gedanken an Vernunft oder Sicherheit. Als ob das Geschlangel durch die Pinien- und Kiefernwalder nicht andere Gedanken beflugeln wurde. Rechts, links, rechts pfeilen die Supermotos wie die Schlitten durch den Eiskanal. Nicht schon wieder. Die Realitat meldet sich erneut zuruck. Die Reservelampen leuchten aufdringlich. Abbiegen. Die Aprilia kommt staubtrocken vor der Zapfsaule zum Stehen.
15,2 Liter rinnen in den Tankstutzen - nach 150 Kilometern. Macht zehn Liter Verbrauch. Entsetzen. Spater, auf der moderat gefahrenen Verbrauchsrunde ma?igt sich die Dorsoduro zwar. Doch selbst 7,5 Liter auf 100 Kilometer (KTM: 5,8 Liter, Ducati: 4,9 Liter) sind schon lange nicht mehr zeitgema?, reflektieren einmal mehr die zwischen sportlichem Anspruch und Vernunft gespaltene Personlichkeit der Aprilia. Die sich selbst in Aspekten wie den Inspektionsvorgaben manifestieren. Rekordverdachtige 20000-Kilometer-Intervalle durften eher der theoretischen Senkung der Wartungskosten als unverwustlicher Technik geschuldet sein.
Notig hatte die Aprilia solche vermeintlichen Argumentationshilfen nicht. Denn schlie?lich mussen gerade Zweizylinder-Supermotos von allen etwas abseits des Mainstreams liegenden Konzepten die wenigsten Zugestandnisse an die Vernunft machen. Ganz im Gegenteil. Abgesehen vom fehlenden Windschutz sowie eingeschrankter Gepack- und Soziustauglichkeit gehoren die kultivierten, kraftigen, handlichen und bequemen Zweizylinder-Supermotos langst zum Attraktivsten und Universellsten, was der Motorradmarkt zu bieten hat. Insofern erfullt die Dorsoduro in diesem Segment mit ihrer etwas gema?igteren Fahrwerks-Ausrichtung, der Traktionskontrolle und ABS durchaus ihren Anspruch: Den, das bisher in diesem Segment ubliche Spektrum zu erweitern.