Jetzt warte doch den Fruhling ab“, sagt meine Freundin. Aber wei? sie, was es bedeutet, wenn die F 800 GS in der Garage steht und mich jeden Tag anlacht? Wei? sie, wie lange da ein Winter sein kann? Meine Sehnsucht nach Fahrtwind wird so gro?, dass mich weder warme Worte noch eiskalte Temperaturen von einer Wintertour abbringen konnen.
Plus zwei Grad zeigt das Thermometer der F 800 GS, als ich am Freitagmorgen auf der A 3 meinem Ziel, dem Bayerischen Wald entgegenrolle. Eine lockere Temperatur, die man mit guten Handschuhen und entsprechend dicken Pullis meistern kann. Zugegeben: Ab Tempo 130 wird der Fahrtwind schon arg schneidend. Fu?e und Fingerspitzen entwickeln sich zu den Problemzonen des Winterfahrers. Egal, Schneelandschaft und bewundernde Blicke der uberholten Autofahrer machen das wett. Ab der Ausfahrt Hengersberg fuhrt die B 533 direkt in den Bayerischen Wald. Es muss aber noch kurviger gehen. Hinter Auerbach werfe ich mich auf die winzigen, zum Teil gerade autobreiten Stra?chen, die uber Grattesdorf und den 1016 Meter hohen Brotjackelriegel nach Schofweg, Kirchberg im Wald und nach Regen fuhren.
Mag die Temperatur mit jedem Kilometer, den ich mich aufwarts schraube, sinken, ums Herz wird es mir zusehends warmer. Als das Thermometer unter Null fallt, keine Reue. Endlich wieder Kurven, sogar mit perfektem Belag. Von Schnee keine Spur in den tieferen Lagen des Gebirges. Lediglich einige Eisreste in Pfutzen und Stra?engraben fliegen im Augenwinkel vorbei. Doch der Winter wird noch kommen. Wie ein Treppenhaus baut sich der Bayerische Wald Stufe um Stufe vom klimatisch milden Donautal zu den uber 1400 Meter hohen Bergen des Grenzkammes nach Tschechien auf.
„Geschlossen bis zum 5. Mai, steht am Kiosk an der Burgruine Wei?enstein beim Ort Regen, meinem ersten touristischen Stopp. Die Treppen hoch zu dem alten Gemauer, das wie Frankensteins Schloss auf einem steilen Quarzfelsen sitzt, sind vereist und so glatt, dass ich fur den gewagten Aufstieg vorsichtshalber Helm und Handschuhe anlasse. Vom Schnee ist auch hier nicht viel zu sehen. Doch im Norden Richtung Grenzkamm liegen wei? uberzuckerte Bergketten. Da mochte ich hin!
Also uber Teisnach, Drachselsried und Arnbruck weiter, hin zu den Kammbergen, in denen sich die Regen- und Schneewolken fangen. Und jetzt kommt der Winter so richtig ran an die Stra?e. Die Uberquerung des Kaitersberges fuhrt auf kurviger Pass-Stra?e uber 800 Meter hoch in die wei?e Pracht. Im Sommer ware hier eine tolle Strecke zum Heizen, doch jetzt ist auf feucht-grieseligem Asphalt Vorsicht geboten. Das gilt auch fur die kurvige Panoramastrecke hinter Lahm Richtung Bayerisch Eisenstein. Dem wenig vertrauenswurdigen Asphalt zum Trotz zieht es mich vom Abzweig Brennes noch schnell hoch Richtung Arber, mit 1456 Metern der zweithochste Mittelgebirgsgipfel der Nation. Am Bretterschachten tauche ich ein in eine vollkommen wei?e Welt, in der alle Baume mit einer dicken Reifschicht uberzogen sind. Was bei Temperaturen von minus acht Grad auch seine Ordnung hat. Ohne Skier oder Schneeschuhe wurde man hier oben gleich neben der Stra?e bis zum Bauch einsinken. Auch den auf 900 Meter gelegenen Arbersee hat der Winter voll im Griff.
Wo sonst in der 90-Grad-Kurve am Arberseehaus im Sommer Motorradtreff angesagt ist, macht sich gerade eine Schneeschuh-Wandergruppe zum Abmarsch bereit. An Stelle der Visierwaschvorrichtung steht ein Rodelschlitten, und druben am gahnend leeren Parkplatz kochen sich Wintercamper einen warmenden Nachmittagstee in ihrem Wohnmobil.
Eigentlich will ich bei „kuscheligen“ Temperaturen von minus funf Grad noch eine Runde uber Tschechien fahren und nahere mich uber Bayerisch Eisenstein dem Grenzubergang nach Zelezna Ruda. Doch es beginnt zu schneien, und die Plastik-Gartenzwerge der Verkaufsstande hinter der Grenze sind schon wei? uberzogen. Die Stra?e wird es auch bald sein, denn die Tschechen sparen mit Salz. Da droht Ungemach. Also schnell wieder zuruck und uber Zwiesel und Regen auf der B 85 nach Schonberg, wo ich Quartier beziehen will. Was den Vorteil bringt, dass es in tieferen Lagen uberhaupt nicht geschneit hat und die Stra?e perfekt ist. Fazit des ersten Tages: Fu?e kalt, das Herz gluhend vor Motorrad-Freude.
Am nachsten Tag Gluht nichts mehR: Minus funf Grad misst die in der Hotel-Garage problemlos angesprungene BMW. Von Schonberg will ich uber Grafenau nun weiter ostlich Richtung Tschechien vorsto?en. Irgendwie bin ich uber Nacht etwas verweichlicht. Das warme Bett, das gemutliche Fruhstuck, ein Bier zu viel gestern Abend? Jedenfalls friere ich trotz manch guter Schraglage auf den noch immer schnee- und eisfreien Stra?en. In Riedlhutte uberlege ich mir eine warmende List: Einen Besuch beim Glasblaser, der das Glas erst bei 1100 Grad blasen kann. In der Studioglashutte Kock geht meine Rechnung auf. Der Meister arbeitet mit seinem Sohn kunstfertig an einem Glaskopf, dahinter leuchtet im offenen Schmelzofen die Wei?glut. Raumtemperatur: 30 Grad. Nach 15 Minuten ist mir so warm, dass ich weiter fahren muss.
In Mauth konnte ich schon wieder einen Stopp in Sachen Glashutte machen. Die Glasstra?e quer durch den Bayerischen Wald ist fur den Soft-Winterfahrer eine herz- und fingererwarmende Traumroute, auf der man alle paar Kilometer einem Glasblaser bei der Arbeit zusehen kann. Doch ich will heute meine Tschechien-Runde von der anderen Seite versuchen. Also in Philippsreut uber die Grenze. Was im vereinten Europa eigentlich nur dadurch auffallt, dass in Tschechien mehr Schneereste am Stra?enrand liegen. In Strazny sind die Stra?en vollig ungeraumt. Schlupfriges Gelande auch deshalb, weil gerade ein neuer Puff aufgemacht hat („Neue Madchen, neue Preise”). Schnell raus aus dem Sumpf. Horni Vltavice, zehn Kilometer weiter, hat keine so sundhafte Anmutung. Doch schlupfrig wird es auch hier. Als ich namlich am Abzweig fur meine geplante Route westlich uber Kvilda und Kasperske Hory nach Zelezna Ruda stehe, liegt da anstelle befahrbaren Asphalts eine durchgehende, vereiste Schneedecke.
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Enttauscht muss ich die Tschechien-Runde zum zweiten Mal abbrechen. Also zuruck uber die Grenze und von Philippsreut uber Haidmuhle auf trockener Stra?e zum Dreisessel. Nun juckt es mich doch in den bei minus sechs Grad recht kalten Fingern, und ich will versuchen, auf den 1332 Meter hohen Berg hinaufzukommen. Der Schnee ruckt immer naher an die Stra?e, die nur noch in der Mitte eine freie Spur ubrig hat. Und auch die wird als meine einzige Lebensader in Sachen Traktion immer dunner. Nur nicht aufgeben. Plotzlich der vollig leere Parkplatz unter dem Gipfel. Nun fehlt nur noch ein knapper Kilometer zu Fu? zum Dreisesselhaus. Was bei mittlerweile minus acht Grad eine willkommene Erwarmung bedeutet, wenn der Korper beim Gehen die Fu?e endlich wieder durchblutet. Durch tiefen Schnee stapfe ich hoch zum weithin bekannten Berggasthof mit Panoramablick. Der schweigende Winterwald verschluckt meinen Tritt. Was fur ein Gefuhl, eine Wirtshausture in solch arktischer Umgebung aufzusto?en und von wohliger Warme empfangen zu werden! Der sofort mit Kondenswasser uberzogene Helm landet am Kleiderstander, gefolgt von mehreren Lagen Textilien.
Ein dampfender Fruchtetee wird zum Gipfel des Wohlfuhlens. Passend zum Schnee-Szenario drau?en vor dem Fenster des Berggasthofes singt im Hintergrund Wolfgang Ambros seinen alten Gassenhauer vom „Skifahr’n”. Und skandiert, dass er am Abend nochmals hochblickt auf die Skihange und beschlie?t, nicht nach Hause zu fahren. Das macht mir Lust, die eigene Wintertour ebenfalls zu verlangern. Gerade kommt eine Gruppe Schneeschuh-Geher zur Tur des Dreisesselhauses herein, die hier oben vollig abgeschieden Urlaub machen. Wir fangen an zu quatschen, der Fruchtetee weicht dem Jagertee, und eine unglaubliche Behaglichkeit macht sich breit. Heute Nacht werde auch ich im Dreisesselhaus ubernachten. Meine F 800 GS muss sich unten in der Leere des riesigen Parkplatzes mitten im Wald zusammen mit Fuchs und Hase einen abfrieren. Und sollte es heute Nacht noch mehr schneien? Der Wirt vermietet auch Schneeschuhe.
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