Im Kampf um Markt und Moneten stehen die 200-PS-Boliden in der ersten Reihe. Das Erfolgsrezept: Power im schieren Uberfluss, die sich nur noch mit elektronischen Hilfen beherrschen lasst. Die Alternative: wundervoll bassige Twins mit allerfeinster Technik und eingebauter Fahrspa?-Garantie - leider vom Aussterben bedroht.
In diesem Artikel: KTM 1190 RC8 R, Ducati 1198 SP
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Kein Segment ist derma?en rigide auf Leistung fixiert wie das der Supersportler in der 1000er Klasse. Glaubte man vor drei oder vier Jahren, dass sich der Wettlauf bei 180 PS von selbst einbremst, weil mehr Leistung nicht umsetzbar ist, klatschte uns BMW die S 1000 RR mit rund 200 PS vor die Fu?e. Das Konzept: Vier Zylinder im Rennsportformat, garniert mit Race-Elektronik, und fertig ist der Verkaufsschlager. Hut ab. Aber wo steckt bei 200 PS die Faszination? Genau, zwischen 10000 und 14000/min, wenn die Kisten brennen, als sei der Leibhaftige auf einer Turbo-Gixxer hinterher. Aber im normalen Leben? Monotones Vierzylindergesausel, sicher hochst kultiviert, aber auch ein bissel ereignislos.
Es geht auch anders. Drucken Sie mal den Starterknopf einer Ducati 1198 SP oder KTM RC8 R, warten, bis sich die Kolben uber den Totpunkt wuchten und das flammende Inferno die Erde beben lasst. Echte Verbrennungsmaschinen, jeder Arbeitstakt ein Ereignis, jeder Gassto? der Beweis, dass blanke Mechanik eine Seele hat.
Sie merken schon, dieser Test hat mit neutraler Sachlichkeit nicht viel zu tun. Soll er auch nicht. Weil Sachlichkeit und Vernunft beim Thema Rennsemmel generell und bei den ubermotorisierten 1000ern im Speziellen nichts zu suchen hat. Also packen wir das Duo in den Sprinter und suchen im sonnigen Spanien die Antwort auf die Frage: Wer baut den besten Supertwin?
Rot, grun, Brause auf - und das Vorderrad der Ducati fliegt zum Himmel. Drehmoment im Uberfluss und das Gefuhl, ein einzelner Kolbenschlag hammert dich von einer Kurve zur nachsten. Auch wenn der brutale Bums des Ducati-Twins der vielgepriesenen Fahrbarkeit im Wege steht, demonstriert die 1198 SP, was Sache ist.
Bis Gangstufe drei hebt sich das Vorderrad nach Lust und Laune des Piloten, der Gasgriff bestimmt, nahezu unabhangig von der Drehzahl, die Gewalt der Drehmomentwelle. Wobei die Tendenz zum leichten Vorderrad von der auffallig hecklastigen Gewichtsverteilung unterstutzt wird.
Gemessen mit Fahrer lasten vorn nur 47,5 Prozent des Gesamtgewichts auf dem Vorderrad, bei der KTM hingegen sind es ausgewogene 50 Prozent. Nur gut, dass die brachiale Gewalt des Testastretta-Motors durch die Traktionskontrolle (DTC) im Zaum und der 190/55er Reifen in der Spur gehalten wird. Beim Beschleunigen aus langen Kurven ist spurbar Bewegung im Heck, wird der Gummi kraftig durchgeknetet, verliert aber zumindest auf Stufe 4 von 8 moglichen Levels nicht den Grip und der Fahrer die Kontrolle. Sehr beruhigend das Ganze und fur Menschen mit Hang zum Ubermut sehr gesund.
Ausgequetscht, bis der Schaltblitz flackert, zeigt sich der italienische Twin von einer ganz anderen Seite. Seidenweich, fast vibrationsfrei, fegt der L-Twin durchs Drehzahlband, die Gangstufen fadeln sich dank des serienma?igen Schaltautomaten ohne spurbare Unterbrechung der Zugkraft blitzschnell in ihre Position. Beim gemutlichen Stadtbummel hingegen sollte man auf den Schaltautomat verzichten, denn dann geht der Gangwechsel nur mit einem spurbaren harten Ruck und einer viel zu langen Zundunterbrechung uber die Buhne.
Leider kombiniert Ducati das Elektronikpaket der 1198 SP bisher nicht mit einem Renn-ABS, so muss sich der Fahrer nach der Vollgas-Orgie blitzschnell auf seine manuellen Fahigkeiten einer akkurat gesetzten Vollbremsung verlassen. Was mit der exquisit dosierbaren Brembo-Anlage und der unauffallig, aber effizient agierenden Anti-Hopping-Kupplung kein Problem ware, wenn da nicht diese seit Jahren bemangelte zu weiche Abstimmung der Telegabel die Front abrupt auf den Anschlag durchsacken lie?e.
Dafur hat man bei Ducati mit dem neuen, etwas softer ausgelegten TTX-Sto?dampfer von Ohlins die gesamte Federbalance synchronisiert. Die Abstimmung vorn zu hinten passt jetzt besser, macht das Motorrad in Wechselkurven stabiler, berechenbarer. Was aber nichts daran andert, dass die Ducati nach wie vor bei schnellen Richtungswechseln kraftige Lenkimpulse benotigt. Dafur schneidet die 1198 in langgezogenen Radien und mit beherzter Schraglage messerscharfe Ideallinien in den Asphalt und vermittelt das Gefuhl eines unsturzbaren Schienenfahrzeugs. Unterstutzt durch die frontlastige, aber anstrengende Sitzposition, konnen Kurvenradien nicht lang, Schraglagen nicht schrag genug daherkommen. Ruckmeldung, Gefuhl fur den Grenzbereich, alles bestens. Aber nur, wenn der Fahrer vor der gro?en Sause mit der Feile die rutschigen Kuppen der Fu?rasten mit einem scharfen Kreuzmuster verzahnt hat. Zur Erinnerung: Auch dieses Manko schleppen die Ducatis seit Einfuhrung der Ikone 916 mit sich herum.
Anderseits greift auch die 1198 SP nahtlos die fantastischen Qualitaten der 916er-Baureihe auf und bringt diese in gepflegter Manier auf den Stand des Jahres 2011. Als Top-Modell der Superbike-Baureihe mit stolzem Preis von 22690 Euro tritt die SP das Erbe als Superbike-Replika an. Mit 170 PS bei sensationellen 196 kg Gewicht ist der Auftritt gelungen. Mehr Zweizylinder-Erlebnis, mehr V-Power, mehr Ducati gibt‘s nicht.
Dass KTM bei der Grundsteinlegung der RC8-Baureihe auch die Ducati-Philosophie im Auge hatte, ist unbestritten. Denn nach dem Ruckzug von Hondas VTR 1000 SP2 und dem halbherzigen Suzuki-Experiment TL 1000 R waren Zweizylinder-Vorbilder mehr als sparlich gesat. Und trotz aller Ahnlichkeit der technischen Eckdaten mit der Ducati ist die RC8 ein vollig anderer, vollig eigener Typ. Kantig provokant, pfeift auf jeglichen aerodynamischen Rundschliff.
Als ware die RC8 furs Brotchenholen erdacht worden, hockt man lassig und entspannt auf dem immer noch zu harten Sitzpolster. Das Schone daran: Die RC8 R halt in Sachen Ergonomie und Fahrwerks-Setup endlos viele Einstellmoglichkeiten parat. Wer hier keine Losung findet, sollte sich in der Chopper-Szene orientieren.
Im Lauf der Jahre Stuck fur Stuck kultiviert, hat sich der neue RC8-Motor in Sachen Laufruhe und Lastwechsel gewaltig weiterentwickelt. Mit ein Kilogramm mehr Schwungmasse, das sind auf die gesamten Kurbelmassen gerechnet exakt 27 Prozent, und der doppelten Befeuerung der Brennraume mittels einer zweiten, asymmetrisch platzierten zehn Millimeter kleinen Zundkerze wummert der Twin gleichma?ig und homogen vor sich hin, zieht loch- und ruckfrei aus Standgas los. Im Rahmen der Modellpflege wurde die Schaltung geschmeidiger, die Fixierung der Gange exakter und sicherer. So gehort sich das.
Das Fahrwerk wurde durch eine weiche 85er-Feder am WP-Sto?dampfer noch mehr in Richtung Komfort getrimmt, um die RC8 R in erster Linie fur den Stra?eneinsatz fit zu machen. Mit 205 Kilogramm hat sie sich zwar ein paar Speckfalten zugelegt, die kommen jedoch bei der rasanten Hatz um den winkligen Kurs von Calafat nicht zum Tragen. Unter Nutzung der praxisgerechten Einstellmoglichkeiten wurde die Geometrie in Richtung Handlichkeit verschoben. Womit sich das anfanglich leichte Untersteuern in ein fast kraftneutrales Lenkverhalten mit guter Zielgenauigkeit umfunktionieren lie?.
Einmal justiert, gab es auch bei der Verwendung unterschiedlicher Reifen nichts mehr zu klicken. Handzahm und unproblematisch zeigt sich die RC8 R als hochst spa?iger Geselle, der in Sachen Motordurchzug und Leistungsentfaltung der Ducati nicht nur ebenburtig, sondern leicht uberlegen ist. Zwar haut einem der 75-Grad-V2 seine Newtonmeter nicht ganz brutal um die Ohren wie die Ducati, dafur kann man sich darauf verlassen, dass sich der Twin auch ohne Traktionskontrolle sehr kontrolliert am Grenzbereich entlang hangelt und beim Sprint von Kurve zu Kurve der Ducati keine Handbreit Luft lasst. Im Gegenteil. Die 2D-Datenaufzeichnungen belegen, dass die RC8 R am Ende der Geraden stets einen Hauch schneller ist als die aerodynamisch ausgefeiltere Ducati und damit die kleinen Vorteile der kurvengierigen und zielgenaueren 1198 kompensiert. Eine simple Standgasanhebung beim Herunterschalten reduziert das Bremsmoment des Zweizylinders derma?en effektiv, dass man auch beim derben Herunterklopfen der Gange kein springendes Hinterrad im Zaum halten muss.
Subjektiv handlicher als die Ducati prescht die KTM durch die Schikanen von Calafat und macht den leichteren, agileren Eindruck. Was in erster Linie mit der lassigen Sitzposition zu tun hat. Fragt man beim Datarecording nach, witscht die Ducati jedoch einen Hauch schneller durch die Schikanen, wenn auch mit subjektiv hoherem Korpereinsatz. Vorteil KTM: weniger physischer Stress fur den Fahrer bei leicht besseren Rundenzeiten von nicht mal 3/10 Sekunden. Vorteil Ducati: Zuverlassige Traktionskontrolle und Schaltautomat machen sie ready to race - was sich die KTM ja eigentlich auf ihre Fahnen geschrieben hat. Na ja, die Befestigungspunkte fur die Sensoren von ABS und Traktionskontrolle hat KTM schon vorgesehen. Und dass die 16295 teure RC8 R in Sachen Renntechnologie noch eins drauf packen kann, ist auch klar. Schlie?lich ist die Grundausstattung der "R" doch um einiges geschrumpft.
Die leichten Schmiederader wurden durch Gussrader, Kohlefaser-Schutzbleche durch simple Kunststoffteile ersetzt. Was aber nichts daran andert, dass die 2011er KTM die beste RC8 R aller Zeiten ist.
Ein Ziel, zwei Wege. Ducati hat die radikale Philosophie der 916 nicht aus den Augen verloren und zieht die mit der 1198 SP die konsequente Linie durch: radikal, schnell, aber anstrengend. Alles andere ware Verrat. KTM erlaubt es sich, das Thema Supersport-Twin neu zu definieren. Schrilles Design, lassige Sitzposition und ein barenstarker Motor, der dem Ducati-Twin nicht nur in Sachen Hochstleistung uberlegen ist. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie Ihren Ducati- oder KTM-Handler.